Ein Vorschaden ist eine reparierte Beschädigung an einem Fahrzeug, hervorgerufen durch einen Unfall mit einem anderen Verkehrsteilnehmer oder ohne Fremdeinwirkung. Davon abzugrenzen ist ein Altschaden: Diese Beschädigung wurde (noch) nicht repariert. Probleme mit Vorschäden können insbesondere dann auftreten, wenn sie nicht fachmännisch repariert wurden oder die Reparatur nicht hinreichend zu belegen ist. Der Klassiker: Der Hintermann passt nicht auf und fährt einem ins Heck, er hat Schuld. Doch stellt sich heraus, dass es an gleicher Stelle bereits einen Vorschaden gab, verweigert die Versicherung in aller Regel alle Zahlungen. Auf einen Vorschaden können Versicherungen auch im HIS stoßen.
Die Datensammlung soll Betrügereien verhindern, etwa dass beispielsweise immer wieder mit dem gleichen Fahrzeug Schäden abgerechnet werden oder ein offiziell schrottreifes Auto wieder in den Verkehr gelangt. Laut Versicherungen geht der jährliche Schaden aufgrund fehlerhafter, unwahrer, unvollständiger oder betrügerischer Angaben in die Milliarden. Angeblich weist etwa jede zehnte Schadenmeldung Ungereimtheiten auf. Doch gerade die Fallgruppe “Auffälligkeiten im Schadenfall” ist “ein Einfallstor für ungerechtfertigte Eintragungen oder Ablehnungen durch Versicherer, denn hier reicht eine Meldung an die HIS-Datei vollkommen aus, dass ein Sachbearbeiter aufgrund seiner Erfahrung als Experte einen Vorgang als verdächtig bewertet”, sagt Henning Hamann, Fachanwalt für Verkehrsrecht und Geschäftsführer der Kanzlei Voigt.
Zwar gebe es einen Kriterienkatalog, jedoch seien Entscheidungen für diese Art der Einträge nicht immer transparent und erkennbar nachzuvollziehen. Das kann gerade privaten Autoeignern große Probleme bereiten.
Alle Versicherungen tauschen sich im Schadensfall auf Basis der HIS-Einträge über Details zu vorherigen Schäden frühzeitig aus, während der betroffene Halter keinen Zugriff auf Daten hat, die nicht in die eigene Haltezeit fallen. Es herrscht also keine Waffengleichheit. Bis es in einem Rechtsstreit zu einer Verhandlung kommt, vergehen Monate, in denen das Auto ein Beweismittel ist und deshalb nicht repariert werden kann. Ein Geschädigter muss dann oft im Blindflug in den teuren Rechtsstreit, obwohl er bis dahin nicht einmal etwas von einem Vorschaden wusste, etwa weil er das Auto gebraucht gekauft hat. “Das ist das große Problem”, sagt der auf Unfallregulierung spezialisierte Rechtsanwalt Leif Hermann Kroll aus Berlin.
Eine Informationsgleichheit sei schon deshalb wünschenswert, weil sie die Chance auf eine außergerichtliche Einigung erhöhen und so auf beiden Seiten Zeit und Geld sparen würde. Joachim Otting, einst Bereichsleiter Gutachten bei der DEKRA, schult seit Jahren Anwälte zum Thema Vorschäden und fasst die Situation so zusammen: “Die Versicherer wehren sich zu Recht gegen Betrugsversuche. Dabei übertreiben sie es aber so maßlos, dass brave Menschen in ausweglose Situationen geraten.”
Achtung: Liefert das HIS keine Einträge zu einem Auto, ist dies keine Garantie dafür, dass es niemals Vorschäden hatte. Es liegen den Versicherern damit nur keine Informationen über fiktiv abgerechnete Schäden, Totalschäden oder sonstige auffällige Vorgänge vor. Eine durch einen HIS-Auszug bestätigte Vorschadenfreiheit ist also ein Anhaltspunkt dafür, dass das Fahrzeug bislang keine größeren Schäden erlitten hat, die nicht fachmännisch beziehungsweise in einem Fachbetrieb repariert worden sind – aber eben keine Garantie.
Am ehesten mit einem Gutachten eines auf Unfall- und Vorschäden spezialisierten Sachverständigen. Da das ziemlich teuer ist, kann alternativ ein Gebrauchtwagencheck, wie ihn etwa der ADAC, der TÜV oder die DEKRA anbietet, erste Anhaltspunkte liefern. Je nachdem, wo der Schaden war oder wie gut repariert wurde, kann der Aufwand groß oder das Auffinden eines Vorschadens selbst für Experten unmöglich sein. In letzterem Fall läge dann aber zumindest ein Anhaltspunkt dafür vor, dass der Vorschaden fachmännisch repariert wurde.
Theoretisch sollten ungerechtfertigte oder zwischenzeitlich hinfällige Eintragungen nach den gesetzlich festgelegten Fristen von selbst verschwinden. Zuständig ist die jeweils meldende Versicherung. Außerdem lösen nachträglich nachgewiesene Reparaturen die Löschung aus. Das muss allerdings kein Selbstgänger sein und hängt vom Einzelfall ab, wie Rechtsanwalt Hamann an zwei Beispielen deutlich macht, die am Amtsgericht München und am Landgericht Schweinfurt verhandelt wurden. Während es in München nach einer privat durchgeführten Reparatur nicht zur Löschung kam (Az. 322 C 3109/23), gelang die Löschung im zweiten Fall nach Vorlage einer Reparaturbestätigung (Az. 23 O 809/20).
Grundsätzlich gilt: Sie müssen gegenüber der regulierenden Versicherung nachweisen, dass das Fahrzeug fachmännisch repariert ist. Das geht am besten durch eine ausführliche Dokumentation oder gar ein Reparaturgutachten mit Fotos. Eine Rechnung muss nicht zwingend weiterhelfen, sagt Martin Tibbe, Fachanwalt für Verkehrsrecht in Frankfurt/Main. “Es kommt darauf an, von wem sie ist. Und wenn sie das Gutachten passgenau abbilden, werden Versicherungen auch stutzig.” Hier besteht dann nämlich der Verdacht, dass es zwar eine Rechnung, aber keine tatsächliche Reparatur gegeben hat. Die Chance, dass die Reparatur genau so verläuft wie vom Gutachter prognostiziert, ist nämlich äußerst gering.
Zu solchen pauschalen Ablehnungen kam und kommt es vielfach. Eine große Gefahr für den Endverbraucher sehen die befragten Fachanwälte in der – völlig legalen – fiktiven Abrechnung von Schäden, wenn also ein Geschädigter sich das Geld für eine Reparatur auszahlen lässt, die Reparatur aber nicht oder nicht fachmännisch durchführen lässt. Häufig fehlt dann ein geeigneter Beleg für die Reparatur, und der Geschädigte geht tatsächlich leer aus.
Weil aber ein kapitaler und dem Eigentümer nicht bekannter Vorschaden vorlag, zahlte die Versicherung gar nichts – das Gericht gab ihr recht. Im Zuge dieses Falles entschied der Bundesgerichtshof (BGH) bereits 2019, dass sich die Gerichte mehr Mühe geben müssen, eine tatsächliche Aufklärung entlang der Argumente des Geschädigten zu leisten. So muss bei unklarer Sachlage mit Vorschaden wenigstens ein Mindestschaden festgestellt werden (Az. VI ZR 377/18). Im Juli 2023 gab der BGH zudem im Falle eines beschädigten Gerüstbau-Lkw den Gerichten weitere Vorgaben, wie bei Vorschäden zu verfahren ist (Az. VI ZR 197/21).
Erstritten hat diese wichtige Entscheidung Rechtsanwalt Kroll: “Die Ansagen des BGH sind damit noch klarer als zuvor. Die Gerichte müssen Einwände wie ein weiteres erforderliches Gutachten oder Zeugenaussagen zur Beseitigung von Vorschäden ernst nehmen, ihnen nachgehen und aufklären. Pauschale Ablehnungen von Ansprüchen trotz Vorschadens sind damit – zumindest theoretisch – vom Tisch.”
Unbedingt, lautet die dringende Empfehlung aller von AUTO BILD befragten Fachanwälte. Abgesehen davon, dass dies einem Betrugsversuch gleichkäme, ist ein Geschädigter dazu verpflichtet, bekannte Vorschäden und alle weiteren Umstände, die für den Fall relevant sein können, auch ohne explizite Aufforderung offenzulegen, damit dieser Umstand – gemäß der aktuellen Rechtsprechung – bei der Berechnung des neuen Schadens einfließen kann. Außerdem wirken sich Vorschäden grundsätzlich wertmindernd aus und sind darum anzeigepflichtig.
Fachanwalt Martin Tibbe rät zu dieser transparenten und redlichen Vorgehensweise bei allen fiktiv abgerechneten Schäden. Andernfalls könne es im Falle eines weiteren Schadens an gleicher Stelle “schnell nach hinten losgehen”. Er empfiehlt ferner, auch bei einem Fahrzeugverkauf alle vormaligen Schäden jenseits von 1500 Euro (Bagatellgrenze) anzugeben, um spätere Probleme zu vermeiden.
Ist eine Besserung in der Vorschaden-Problematik für die Autofahrer in Sicht?
Vor den erwähnten BGH-Entscheidungen kam es regelmäßig zu desaströsen Ergebnissen für Privatpersonen wegen nicht bekannter Vorschäden. Wegen ihrer klaren Anweisungen haben sie das Potenzial, die Situation zu verbessern. Auch die Empfehlungen der teilnehmenden Richter, Rechtsanwälte und Sachverständigen beim jüngsten Verkehrsgerichtstags in Goslar Ende Januar sprechen eine eindeutige Sprache: Gerichte werden in der Abschlussempfehlung des “Arbeitskreises Vorschäden” ziemlich direkt aufgefordert, sich an die Anforderungen des BGH zu halten und wenigstens einen Mindestschaden zu ermitteln, Gutachter und Sachverständige sollen Schaden und Reparaturweg umfassend und nachvollziehbar dokumentieren. Und von den Versicherungen wird “erwartet, ihre Einwände zu Vorschäden” frühzeitig und außergerichtlich zu konkretisieren – und nicht erst nach Monaten vor Gericht.
Henning Hamann warnt aber vor zu viel Optimismus: “Richter, die eine festgefahrene Meinung zu einem Thema haben, neigen leider dazu, auch aus BGH-Entscheidungen immer die für sie günstigen Passagen herauszusuchen.” Die jüngste Entwicklung sei begrüßenswert, die sich aus den BGH-Entscheidungen ergebenden Hürden für den Geschädigten aber immer noch sehr hoch. Ob die bislang eher versicherungsfreundlichen Gerichte, insbesondere das Kammergericht Berlin, dem endlich folgen, bleibt also abzuwarten.